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Geschichte der Astronomie
Der erste überlieferte Venustransit

Emil Khalisi

Abb. 1: Gassendis Zeichnung vom Merkurtransit 1631 mit fünf Positionsmarkierungen

Einen Transit vor der Sonne können bekanntlich nur Merkur und Venus absolvieren. Einen solchen Vorgang, so selten er auch eintreten mag, bürden sowohl das Ptolemäische als auch das Heliozentrische Weltbild gleichermaßen der Astronomie auf. Dieser Artikel behandelt die Frage, ob jemand in der vorteleskopischen Zeit einen Planetentransit freiäugig beobachtet haben mag und inwieweit er den Umstand überhaupt verstanden hat. Daraus geht die erste Überlieferung dieser Art hervor.

Wer unter den sternzeit-Leser/innen  den nächsten Venustransit erleben möchte, sollte sich ranhalten und gesundheitlich fit bleiben. Der Autor wird es bis zum 11. Dezember 2117 nicht mehr schaffen, daher blickt er hier auf die gute, alte Zeit zurück: ins Altertum und Mittelalter. Der Bauplan des geozentrischen Systems verlangt, dass ein Himmelskörper der inneren Sphäre einen äußeren zum Zeitpunkt der Konjunktion bedecken könnte. Von Zeit zu Zeit müssten sich daher Merkur und Venus vor die Sonne schieben und als kleiner Punkt vor der hellen Scheibe zeigen. Ist es möglich, dass jemand vor Erfindung des Teleskops dies schon mal bemerkt hat?

Merkur im Blick

Der arabische Astronom Nur ad-Din al-Bitrudschi (? – ca. 1204), der die Epizykeltheorie des Ptolemäus umarbeiten wollte, meinte, dass Merkur transparent sein müsse, weil er den flinken Planeten nie direkt vor der Sonne gesehen hatte. Diesen großartigen Gedanken haben anscheinend nur wenige vor ihm aufgeworfen! Auch wenn die Schlussfolgerung falsch ist, so hat al-Bitrudschi zumindest eine wichtige Fragestellung ins Bewusstsein gerufen: Warum tritt dieser Planet nicht in die Sichtlinie zwischen Erde und Sonne? An Gelegenheiten hätte es nicht gefehlt.

In der vorteleskopischen Ära gab es durchaus Verlautbarungen, dass jemand einen der beiden Himmelskörper vor der Sonne erblickt haben will, doch sie stellten sich alle als Trugschlüsse heraus. Mal handelte es sich um besonders große Sonnenflecken oder das Datum stimmte nicht. Beispielsweise berichtete der fränkische Gelehrte Einhard (770? – 840) am Hofe Karls des Großen, dass er im März 807 den Merkur acht Tage lang vor der Sonnenscheibe gesehen haben will [9]. Johannes Kepler (1571 – 1630) glaubte ebenfalls, einen Merkurtransit erlebt zu haben. Mit einer Camera obscura lokalisierte er am 28. Mai 1607 einen kleinen Punkt auf der Sonne und war überzeugt, dass es Merkur wäre. Wenige Jahre darauf realisierte er seinen Irrtum und gestand ihn ein; in diesem Jahr spielte sich kein solcher Durchgang ab.

Heute wissen die sternzeit-Leser/innen, dass ein Transit des Merkurs ohne Hilfsmittel definitiv nicht wahrzunehmen ist. Sein Durchmesser ist viel zu klein, um eine Beobachtung ohne Fernrohr zu ermöglichen. Die Ehre, das erste Ereignis dieser Art für die Nachwelt erhalten zu haben, gebührt Pierre Gassendi (1592–1655). Er bediente sich am 7. November 1631 der Projektionsmethode und vermaß trotz diverser Schwierigkeiten zum ersten Male den Durchmesser des Merkur zu 20“ (Abb. 1). Damit lag er immer noch um das Doppelte zu hoch [6]. Doch diese Beobachtung war, historisch gesehen, sehr bedeutsam, denn sie zeigte erstmalig auf, dass die Entfernungen im Sonnensystem erheblich größer waren (bzw. die Parallaxen kleiner), als zuvor geahnt. Tycho Brahe (1546–1601) hatte Merkur auf fünf Positionsmarkierungen. 130“ geschätzt, und Gassendis Zeitgenossen übersahen schlichtweg den schwachen, kaum erkennbaren Flecken 1631 mit ihren damaligen Teleskopen, weil sie eine deutlich exponierte Kreisform erwartet hatten.

 

Titelbild Ausgabe 1/2023

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