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Titelstory
Mars macht mobil (Teil 1)

Heinz Beister, Emil Khalisi

Abb. 1: Das zweitgrößte noch erhaltene Stück eines Chassigniten wiegt 57 g und befindet sich im Natur- historischen Museum in Wien.

Wer in unserer Galaxis herumstöbert, findet reichlich Leckereien. Wem „Milky Way“ nicht so zusagt oder wer den isländischen Schokoriegel „Sirius“ weniger mag, kann ja am „Mars“ naschen. Zwei sternzeit-Autoren haben sich auf die Suche nach Süßigkeiten vom roten Planeten gemacht und tatsächlich einige marsianische Pralinen aufgestöbert, über die sie nachfolgend berichten. Zur Verdauung sind die Leckerlis allerdings nicht zu empfehlen.

Der Aerolith von Chassigny

Am morgens 3. Oktober zerrissen 1815 mehrere gegen Salven 8:30 Uhr wie aus Kanonenschüssen die Stille des beschaulichen Örtchens Chassigny im Nordosten Frankreichs, etwa 50 km nördlich von Dijon. Eine graue Wolke zog über den Himmel. Ein Mann, der in einem Weinberg arbeitete, beobachtete das Geschehen und sah einen dunklen Körper in rund 400 Meter Entfernung auf sein frisch bestelltes Land fallen. Er eilte zu der Stelle und bemerkte ein Loch von einem halben Meter Breite im Boden. Rundum lagen Steine von einer besonderen Beschaffenheit. Als er eines dieser Stücke aufhob, fand er es so heiß, als wäre es enormer Sonnenhitze ausgesetzt gewesen. Im Dorf erzählte er von dieser Begebenheit, und einige Bewohner lasen weitere Steine auf — Trümmer eines in der Luft zerbrochenen Meteoriten. Zwei Tage darauf kam ein Arzt aus dem benachbarten Langres, Dr. Pistollet, vorbei. Er sammelte rund 60 Fragmente, dessen größtes beinahe 1 kg wog. Er untersuchte den damals so bezeichneten „Aerolithen“ und veröffentlichte ein halbes Jahr später seinen Bericht mit den chemischen Analysen, den der Apotheker und Chemiker Louis-Nicolas Vauquelin (1753–1829) in einem Institut in Paris erstellt hatte. Dieser Bericht bewahrte den Fund vor dem Vergessen werden.

Meteoritenfälle erscheinen uns heute als etwas Gewöhnliches. Man vermutet, dass jedes Jahr 19.000 Stück mit einer Masse über 100 g auf die Erde fallen. Die Rate geht aus einer fotographischen Abschätzung hervor, die ein Netzwerk aus 60 All-Sky-Kameras in Kanada zwischen 1974 und 1985 geliefert hat. Die Rate festzustellen, ist kein leichtes Unterfangen, denn sie hängt von der Beschaffenheit des Fallstücks (Porosität) ab, seiner Masse, Geschwindigkeit und dem Einfallswinkel [1]. Meteorite sind extraterrestrisches Material. In der Regel stammen sie von kleineren Himmelskörpern, z.B. Asteroiden oder Kometen, auf denen die Schwerkraft so gering ist, dass selbst ein kleiner Impakt sogleich eine neue Wolke von Steinen, Staub und Trümmern hochwirbelt. Der Schutt entweicht geradewegs ins All. Nach einer interplanetaren Reise, die unter Umständen viele Millionen Jahre dauern kann, landen die Bruchstücke erneut auf einem anderen Körper — als Meteoriten eben.

Was aber niemand in Chassigny 1815 ahnte, war, dass ausgerechnet dieser doch etwas Besonderes sein sollte: Er kam vom Mars! Dies entpuppte sich erst 1982. Heute gilt der Brocken als das erste Marsobjekt, das auf der Erde entdeckt wurde. Um die Herkunft eines Meteoriten zu ermitteln, muss man ihn aufschneiden und sein Inneres untersuchen. Obwohl sich der Stein beim Flug durch die Erdatmosphäre erhitzt, bleibt die Reibungswärme an der Oberfläche. Sie kann ggf. aufschmelzen, falls das Stück nicht gänzlich verdampft. Doch der Sturz selbst dauert ja nur ein paar Sekunden, so dass das Innere von der Veränderung verschont bleibt. Jener Chassigny-Meteorit steht als Archetyp für die Meteoritenklasse der Chassigniten (Abb. 1). Deren Heimat befand sich einst irgendwo auf dem Mars, bevor ein Einschlag sie auf einen Trip ins All schickte.

Literatur

[1] Hughes, David W. (1992): Space Science
Reviews 61, p275–299

 

Titelbild Ausgabe 1/2023

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