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Unser Sonnensystem
Das Nizza-Modell des Planetensystems

Emil Khalisi

Abb. 1: Entwicklung der Planetenbahnen über einen Zeitraum von 100 Mio. Jahren. Die obere und untere Kurve eines jeden Planeten stellt die Extremwerte der Bahn dar [7].

Jahrzehntelang ist man davon ausgegangen, dass die Planeten des Sonnensystems dort entstanden sind, wo sie sich heute befinden. Wenn man aber Details der Planetenbildung untersucht, stellt man fest, dass es in der Frühphase eine komplizierte Dynamik gegeben haben muss. Es haben sich verschiedene Modelle herausgebildet, die jeweils auf die Architektur als Ganzes Bezug nehmen. Unter den vielen Modellen soll in diesem Artikel eines vorgestellt werden, das 2005 an der Sternwarte in Nizza in Frankreich entwickelt worden ist.

Das Sonnensystem zeigt eine Ungleichheit zwischen den inneren und äußeren Planeten. Die vier Gasriesen vereinen miteinander eine Masse von 445 Erdmassen (ME), während die terrestrischen Planeten, Asteroiden und Kometen zusammengenommen sich mit ≈5 ME begnügen. Dazwischen gibt es keine „mittelgroßen Planeten“, oft Super-Erden und Mini-Neptune genannt. Diese findet man recht häufig in extrasolaren Systemen. Wie kommt diese Diskrepanz zustande?

Die Technik ist inzwischen so weit, dass man als Hobby-Astronom manche Exoplaneten selbst beobachten kann [5, 2]. Schaut man sich die Eigenschaften der Exoplaneten an, scheinen viele auf langgestreckten Bahnen ihre Muttersonne zu umrunden – oder retrograd. Alleine die retrograden Planeten widersprechen den gängigen Theorien der Planetenentstehung aus einer Akkretionsscheibe, die ja eine Rotationsrichtung vorgibt. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Migration, d.h. die radiale Änderung des Bahnradius. Wenn sich nämlich die Planeten dort geformt hätten, wo sie heute stehen, dann müsste ihre Masse eine lineare Funktion des Abstands sein. In Sonnennähe ist ja der Licht- und Teilchendruck am stärksten und fällt nach außen ab. Im Innenbereich wäre das Material der ursprünglichen Gas- und Staubwolke schnell evaporiert, aber die äußeren Körper hätten mehr Zeit, sich zu großen Gebilden zu akkumulieren. Je weiter weg, desto massereicher sollte der werdende Planet sein. Weil dies aber nicht stimmt, bedarf das Standardkonzept einer Revision.

Nachdem die Keime für die Planeten gelegt waren, begannen sie, die Staubscheibe von den Kleinkörpern (Planetesimale) zu säubern. Einen Teil vereinnahmten sie, ein anderer Teil wurde gravitativ weggefegt. Bei diesem Vorgang werden Energien und Drehimpulse ausgetauscht. Dies hat Einfluss auf die spätere, endgültige Bahn des Planeten [3]. Konkret betrifft es die drei Orbitparameter: die große Halbachse, die Exzentrizität und die Inklination gegen die mittlere Ebene der Staubscheibe. Der Vorgang nennt sich „dynamische Reibung“: Wenn sich Planeten nahe kommen, stören sie sich gegenseitig. Je nach speziellen Begegnungsumständen können sie einander abbremsen, beschleunigen oder in eine Resonanz miteinander treten. Beispielsweise stehen Jupiter und Saturn in einer 5:2 Bahnresonanz (Verhältnis der Perioden) [1].

An der Sternwarte in Nizza hat man eine Serie von numerischen Simulationen durchgeführt, um die langfristige Stabilität eines Planetensystems zu testen [7]. Es ging dabei um Fragen wie: Woher stammt die Struktur unseres Sonnensystems? Wie entwickeln sich die Planetenbahnen über Jahrmilliarden? In welchen Konfigurationen kann ein System überleben?

Alle Simulationen starteten mit einer recht kompakten Ausgangsposition der vier Gasriesen im Abstandsintervall zwischen 5 und 17 Astronomischen Einheiten (AE). Sie hatten nahezu kreisförmige Bahnen und geringe Inklinationen (≈10-3). Jenseits von 30 AE hat man eine Scheibe mit 1000 bis 5000 Teilchen angelegt, deren Gesamtmasse 30 bis 50 ME aufwies. Dies liegt weit über der Masse des jetzigen Kuipergürtels; man schätzt ihn auf ca. 0,1 ME, eher weniger. Ein typisches Fallbeispiel einer solchen Simulation ist in Abbildung 1 gezeigt. Aus mehr als 40 unterschiedlichen Startaufstellungen der Riesenplaneten hat man eine Statistik erstellt, die Aufschluss über die mögliche Dynamik im frühen Sonnensystem gibt.

Literatur:

[1] Gripp J. & Khalisi E. (2021): „Appulses of Jupiter and Saturn“, eprint arXiv:2105.02553, 6 May 2021
[2] Hebbeker, Thomas (2014): „Mein erster Exoplanet“, sternzeit 1/2014, p5--9
[3] Keller, Hans-Ulrich (2019): „Kompendium der Astronomie“, Stuttgart, 6. Aufl., 2019; ISBN 978-3-440-16631-4
[5] Kuna, Daniel (2013): „Untersuchung des Sternsystems 51 Pegasi...“, sternzeit 3/2013, p155--161
[7] Tsiganis K. et al. (2005): „Origin of the orbital architecture of the giant planets...“, Nature 435, 2005, p459—469

 

Titelbild Ausgabe 3/2022

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