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Christian Wolter
Werner von Siemens war ein deutscher Naturwissenschaftler, Ingenieur, Erfinder, Unternehmer, Sozialreformer und Politiker. Weniger bekannt ist das Interesse von Werner von Siemens an der Himmelskunde, insbesondere der Sonnenforschung.
Es war der 19. August 1887, im Morgengrauen: in Heerscharen strömten die Berliner zu freien Flächen in der damals bereits 1,3 Millionen Einwohner zählenden Stadt. Allein auf dem Tempelhofer Feld drängten sich 60.000 Menschen. Ausverkaufte Sonderzüge fuhren ins Umland zu geeigneten Positionen mit freier Sicht auf den östlichen Horizont. Die Berliner fieberten der totalen Sonnenfinsternis entgegen, die von den Astronomen minutengenau vorausberechnet worden war. Eine totale Sonnenfinsternis dann tritt ein, wenn sich der Neumond vor die Sonne schiebt und sie als schwarze Scheibe vollkommen bedeckt. Um die verdunkelte Sonne erscheint die Korona, Planeten und helle Sterne werden sichtbar.
Am Tag der Sonnenfinsternis machte der 70-jährige Werner von Siemens zusammen mit seiner Tochter Hertha und deren Halbschwester Käthe samt Familie Urlaub auf der Insel Sylt. Hertha stammt aus seiner zweiten Ehe mit Antonie Siemens (genannt Toni), Käthe aus der ersten mit Mathilde Drumann [1]. Hertha war naturwissenschaftlich, aber auch künstlerisch hochbegabt und sicher bestens über die Sonnenfinsternis informiert. Sie organisierte sich in Berlin-Charlottenburg private Physik- und Mathematikstunden, schrieb sich schließlich in München in Chemie ein. Sie experimentierte gemeinsam mit ihrem Vater in dessen naturwissenschaftlichem Privatlaboratorium, das er sich im Garten seiner Charlottenburger Villa in der Berliner Straße Nr. 36 eingerichtet hatte.
Sylt lag allerdings außerhalb des Sichtbarkeitsgebietes der totalen Finsternis. Werner von Siemens interessierte sich inzwischen sehr für die Himmelskunde, weshalb er die mäßig guten Beobachtungschancen der Eklipse in seiner Heimatstadt sicher gut einschätzen konnte. Bei höherem Sonnenstand und günstigerer Wetterprognose wäre Werner von Siemens möglicherweise mit Hertha in Berlin geblieben. In einem Brief aus Westerland an seine Tochter Anna Zanders drückte er allerdings sein Bedauern aus, die Finsternis nicht beobachten zu können.
Ein intensives Interesse an astronomischen Fragestellungen bestand bei Werner von Siemens spätestens ab 1883. In diesem Jahr nahm er lebhaften Anteil an den Studien zur Sonnenphysik seines nach London ausgewanderten Bruders Carl Wilhelm Siemens (inzwischen Sir William Siemens). Tatsächlich vermied Siemens eine große Enttäuschung, denn am Finsternismorgen lag eine dichte bleierne Wolkenschicht über der preußischen Hauptstadt, die jeden Blick auf die „schwarze Sonne“ verhinderte.
Die „Neueste Nachrichten“, Berlin, berichteten: „Die Beobachtung der heutigen totalen Sonnenfinsternis war in Berlin nur in sehr beschränktem Maße möglich, weil die Sonne bei ihrem Aufgang durch Wolken verhüllt war, die nur wenig von ihr sehen ließen. Das Treten des Mondes vor die Sonnenscheibe war überhaupt nicht zu sehen, nur die allmähliche allgemeine Verfinsterung ließ den Vorübergang erkennen“.
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