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Thomas Hebbeker
Abb. 1: Canon 350D mit 10-mm Sigma-Weitwinkelobjektiv und Baader-Sonnenfolie, auf der Fensterbank
Abb. 2: Überlagerung von sechs Sonnenfotos, am 10. Juni 2021 zwischen 11:30 und 12:20 MESZ aufgenommen im Zeitabstand von 10 Minuten.
Solargraphie ist eine Technik, um den Lauf der Sonne am Himmel aufzuzeichnen.
Die analoge Variante basiert meist auf einer Lochkamera, die mehrere Monate lang von einer festen Beobachtungsposition aus die Sonnenposition auf Film festhält [1]. Im einfachsten Fall gelingt dies mit einem Filmdöschen, in das ein winziges Loch gestochen wird, und diesem gegenüber wird ein Stück Film in die Dose eingeklebt. Im Folgenden stelle ich die moderne Variante vor, die ich als „digitale Solargraphie“ bezeichne.
Wie man leicht erraten kann, benutze ich eine Digitalkamera mit Weitwinkelobjektiv und Sonnenfilter - und löse diese über einen Zeitraum von einem Jahr automatisiert tagsüber alle paar Minuten aus. Das beschert mir Tausende von Einzelfotos, die ich später zu einem Gesamtbild überlagern kann. Ferner kann ich die Sonnenposition genau als Funktion der Zeit messen und interpretieren – was mit der analogen Solargraphie natürlich nicht möglich ist. Diesem großen Vorteil der digitalen Methode steht allerdings der höhere technische Aufwand gegenüber. Ein solches Projekt wurde schon in den Jahren 2013 und 2014 erfolgreich von Robert Nufer durchgeführt und auch in eine Video-Animation übersetzt [2]. Eine quantitative Auswertung der Messdaten, wie ich sie im Folgenden beschreibe, habe ich aber bisher noch nicht gesehen. Insofern präsentiere ich hier das erste quantitative digitale Solargraphie-Projekt!
Alles begann vor mehr als 10 Jahren, als ich mit einer feststehenden Canon APS-C Digitalkamera 350D in den Jahren 2011 und 2012 die Sonne einmal am Tag, immer zur gleichen Uhrzeit, fotografiert habe, um so den jährlichen Lauf unseres Zentralgestirns festzuhalten. Es ergibt sich die Form der Ziffer Acht, eine Analemmakurve [3]. Diese spezielle Form kommt durch das Zusammenspiel von Exzentrizität der Erdbahn und Neigung der irdischen Rotationsachse gegenüber der Ekliptik zustande.
Einige Jahre später, nachdem ich mit dieser Kamera auch Analemmakurven von Mond [4] und Mars [5] aufgenommen hatte, habe ich wieder zurück zur Sonne gefunden – diesmal mit einem von einer Sonnenfolie geschützten 10mm-Weitwinkelobjektiv. Die Canon-Kamera ist Richtung Südosten ausgerichtet, und weist etwas schräg nach oben. So konnte ich – etwas eingeschränkt durch die Fenstergröße, den morgendlichen Lauf der Sonne bis zur Mittagszeit verfolgen. Während sich die Sonne im Blickfeld befand wurden alle 10 Minuten Aufnahmen gemacht - immer zu festen Uhrzeiten wie 10:00, 10:10, 10:20, etc. Abb. 1 zeigt meine innen auf der Fensterbank installierte Fotoausrüstung. Der selbstgebastelte Mikroprozessorgesteuerte Timer ist hier nicht zu sehen. Belichtungszeit und Blende waren auf 1/250 Sekunde und 8 eingestellt.
Jedes Einzelbild ist recht unspektakulär, es ist fast vollständig schwarz und zeigt nur einen kleinen runden weißen Fleck, die Sonne. Allerdings kann man in den Fotos vom 10. Juni 2021 in einer Ausschnittvergrößerung sogar die partielle Sonnenfinsternis erkennen (siehe Abb. 2).
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/ Solarigraphy (Abruf 4.7.2022)
[2] https://robertnufer.ch/ (Abruf 4.7.2022)
[3] T. Hebbeker, Die Sonne in der Achterbahn – wie ein Analemma entsteht, Sterne und Weltraum 3/2013
[4] T. Hebbeker, Mondanalemma – die onatliche und jährliche Bewegung des Mondes am Himmel, VDS-Journal für Astronomie 52/2015
[5] T. Hebbeker, Vermessung der Marsbahn mit einer Weitwinkelkamera – das erste Mars-Analemma, VDS-Journal für Astronomie 81/2022
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